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WASCHEN, PFLEGEN, TRÖSTEN

WASCHEN, PFLEGEN, TRÖSTEN

Witten.   Wer einen ambulanten Pflegedienst benötigt, kann sich oft auf eine längere Suche einstellen. So mancher Anbieter winkt ab: ausgebucht!
Wer einen ambulanten Pflegedienst benötigt, hat Glück, wenn er schnelle Hilfe bekommt. Pflegeanbieter sind stark gebucht und haben oft nicht genug Personal, um weitere Patienten anzunehmen. Caritas-Geschäftsführer Hartmut Claes: „Uns droht kein Pflegenotstand, er ist schon da. Es ist nicht fünf Minuten vor, sondern Punkt zwölf.“

Andreas Waning, Fachbereichsleiter ambulante Dienste der Caritas, kann dies nur bestätigen. „Wir erhalten zahlreiche Anrufe von Menschen, die uns anflehen, die Pflege ihrer Angehörigen zu übernehmen.“ Sie hätten vorher Absagen von anderen Anbietern bekommen, die ausgebucht seien. Waning betont, dass man versuche, zu helfen. „Aber auch wir müssen in einigen Fällen ablehnen, weil wir keine freien Kapazitäten haben.“
„Man wählt sich die Finger wund“
Caritas-Geschäftsführer Claes weiß aus eigener Erfahrung: „Angehörige, die es nicht schaffen, in kurzer Zeit einen Pflegedienst zu bekommen, sind in großer Not.“ Claes war privat selbst in einer solchen Situation, als er einen Pflegedienst für seinen Vater suchte, der im Saarland lebte. „Man wählt sich die Finger wund, bis man jemanden gefunden hat.“
Im Erzbistum Paderborn, zu dem auch Witten gehört, lehnten die Hälfte der ambulanten Dienste Anfragen von Angehörigen ab, weil sie diese nicht bedienen könnten. „Denn es ist schwierig, examinierte Pflegekräfte zu bekommen“, sagt Claes. Obwohl die Wittener Caritas ihren Pflegemitarbeitern rund 20 Prozent mehr zahle als private Pflege-Anbieter, „kommen die Menschen nicht in Scharen zu uns“. Gemeint sind Fachkräfte, die händeringend gesucht werden.
Auch Plätze in der Tagespflege sind ausgebucht
„Wir müssen Anfragen für eine ambulante Pflege absagen und an andere Anbieter verweisen, weil uns das Personal fehlt. Auch unsere 22 Plätze in der Tagespflege sind ausgebucht“, sagt Volker Rumpel, Geschäftsführer der Familien- und Krankenpflege e.V. in Witten. Um überhaupt bereits abgeschlossene Pflegeverträge erfüllen zu können, müsse sich die Familien- und Krankenpflege über Agenturen zusätzliches Fachpersonal organisieren. „Um Nachwuchskräfte zu bekommen, bilden wir übrigens seit vier Jahren selbst aus.“
Wie Caritas-Vorstand Claes ist auch Volker Rumpel der Meinung, dass der Pflegeberuf dringend attraktiver werden müsse, um Mitarbeiter zu finden. Denn der Berufsstand sei für das, was er 365 Tage im Jahr leiste – auch nachts, an Wochenenden und Feiertagen – völlig unterbezahlt. „Pflegefachkräfte müssen mehr verdienen“, fordert Rumpel. Die Familien- und Krankenpflege bezahle zum Teil über Tarif, „um gute Leute zu bekommen und zu halten“.
Viele Fachkräfte scheiden nach wenigen Jahren aus
Altenpflege – ein wichtiger Berufsstand hat Probleme. Bei jungen Menschen findet man die Pflege nicht unter den „Top Ten“ der Ausbildungswünsche. Und: Viele Fachkräfte kehren ihrer anspruchsvollen Tätigkeit oft schon nach wenigen Jahren den Rücken.

André Löckelt, Geschäftsführer des Altenzentrums St. Josefshaus in Herbede, kennt die Schwierigkeit, examinierte Mitarbeiter für die Pflege zu finden. „Es gibt Häuser, die suchen händeringend Fachpersonal“, sagt er. Löckelt ist der Ansicht, dass das Land mehr Geld in die Hand nehmen muss, um die finanziell zu unterstützen, die eine schulische Altenpflege-Ausbildung anbieten.
Zu geringe Förderung durch das Land
Die Träger der freien Wohlfahrtspflege NRW haben in diesem Zusammenhang gerade öffentlich eine zu geringe finanzielle Hilfe beklagt und auf mögliche Konsequenzen hingewiesen. Zahlreiche Fachseminare, die ausbildeten, stünden auf der Kippe, weil die finanzielle Förderung durch das Land nicht ausreiche.
Caritas-Geschäftsführer Hartmut Claes fordert eine Vollfinanzierung der Fachseminare durch das Land. Er weist darauf hin, dass Altenpflege in einem immer älter werdenden Land eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei. Claes: „Die Pflegekräfte, die wir in 20 Jahren für die Babyboomer-Jahrgänge benötigen, müssen wir jetzt ausbilden.“
„Die Diakonie Ruhr übernimmt das Defizit“
Dem kann sich Marion Hohmann nur anschließen. Sie leitet beim Diakonischen Bildungszentrum an der Pferdebachstraße das Fachseminar für Altenpflege mit aktuell 250 Schülern, vor allem Schülerinnen. Das Seminar bildet eigenes Personal für die stationären und ambulanten Dienste der Diakonie Ruhr aus, außerdem für 70 Kooperationspartner, darunter die Evangelische Stiftung Volmarstein.
Auch ihre Schule werde vom Land nicht voll refinanziert, sagt Hohmann. „Die Diakonie Ruhr übernimmt das Defizit. Unsere Betriebskosten, also die Personal- und Sachkosten, müssten vom Land zu 100 Prozent gedeckt werden.“ Da dies nicht der Fall sei, überlegten kleinere Schulträger, ob sie überhaupt noch ausbilden sollen.
„Das ist eine fatale Entwicklung“
Nicht zuletzt werde es zunehmend schwerer, junge Menschen überhaupt für eine Altenpflege-Ausbildung zu interessieren, sagt Hohmann. „Das ist eine fatale Entwicklung.“ Und dies, obwohl Pflegekräfte auf dem Arbeitsmarkt paradiesische Zustände vorfinden würden. „Sie können sich ihren Arbeitgeber aussuchen!“
Wie Caritas-Geschäftsführer Hartmut Claes hält es auch Andreas Waning, Fachbereichsleiter ambulante Dienste der Caritas, für dringend notwendig, den Pflegeberuf attraktiver zu gestalten. „Denn den Leuten ist nicht nur das Geld wichtig, sondern auch die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit.“ Viele Kräfte würden heute nach nur wenigen Arbeitsjahren ihren Beruf an den Nägel hängen oder in andere Arbeitsfelder wechseln, „etwa zu Sanitätshäusern oder zum Medizinischen Dienst“. Pflegewissenschaftler Waning: „Und dies, obwohl die Pflege ein sehr vielfältiger Beruf mit Aufstiegsmöglichkeiten ist.“
André Löckelt vom Herbeder St. Josefshaus weist darauf hin, dass die Altenpflege ein Image-Problem habe. Pflegekräfte seien 365 Tage im Jahr im Einsatz. Nach außen würden deren vielfältige Tätigkeiten aber oft nur wahrgenommen als Arbeiten, bei denen man anderen „den Po abwischen muss“.
>>> ZU WENIG GELD FÜR DIE SCHULISCHE AUSBILDUNG

Nach Angaben der Träger der freien Wohlfahrtspflege erhalten Fachseminare, die künftige Altenpfleger schulisch ausbilden, vom Land 280 Euro pro Schüler und Monat, nötig wären aber rund 485 Euro pro Schüler.
In der Ausbildung verdient man rund 1000 Euro (1. Jahr) bis rund 1200 Euro (3. Jahr) brutto. Das Einstiegsgehalt beträgt rund 2300 Euro brutto bei Pflege- und Betreuungs-Einrichtungen.
Quelle: WAZ Witten vom 17.06.2017

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