Quelle: WAZ Witten vom 17.05.2024, Autorin Susanne Schild
Glücksmomente vorprogrammiert: Zwei Anbieter chauffieren Senioren ehrenamtlich und kostenlos mit der Rikscha durch Witten, häufig zum Geburtstag.
Die Luftballons wehen auf dem Balkon, denn Brunhilde Quernheim ist gerade 90 Jahre alt geworden. Zum Geburtstag gibt‘s ein besonderes Geschenk: Eine Ausfahrt mit der Senioren-Rikscha, zusammen mit Freundin Bärbel Blum. Die beiden sitzen quietschvergnügt auf der Sitzbank, schauen, staunen und winken wie Königin Beatrix. Was für ein tolles Vergnügen – und das gibt es sogar kostenlos.
Bruni und Bärbel wohnen in der Senioren-WG von Caritas und der Wohnungsgenossenschaft Witten-Mitte in Bommern. Beim gemeinsamen Fernsehgucken entstand die Idee: „Ich habe einen Film über das Rikscha-Projekt gesehen und wollte das unbedingt auch mal machen“, erinnert sich die 81-jährige Bärbel Blum. Anne Wiegers, Sozialarbeiterin der Wohnungsgenossenschaft, vermittelte den Kontakt zu Anja Ströhmann, die nun das Gefährt namens „Rikki“ auf den Vorhof der Senioren-WG steuert.
Was für eine Sause! Bruni und Bärbel nehmen Platz und werden angeschnallt, die Füße ruhen auf einem stabilen Fußbrett, die Handtasche auf dem Schoß, die Sonnenbrille auf dem Kopf. Über dem Sitzplatz gibt es ein faltbares Dach, dahinter sitzt und trampelt Anja Ströhmann. Die Pastorin der Bommeraner Freien Ev. Gemeinde und ausgebildete Rikscha-Pilotin hat schon vielen Senioren einen solchen Ausflug beschert. Trotzdem überrascht ihr Anblick die WG-Bewohner. Viel zu zierlich ist die junge Frau! „Sie müssen mehr essen“, sagt Bärbel Blum skeptisch.
Aber es gibt ja den Elektro-Antrieb, wodurch auch beleibtere Senioren ohne Probleme zu chauffieren sind. „Ich fahre immer eine mir bekannte Strecke mit nur leichten Steigungen, meist über den Ruhrtalradweg in Richtung Wengern“, sagt Anja Ströhmann. „Bei mir musste noch niemand aussteigen und schieben, weil ich nicht mehr konnte. Und ich habe immer einen Ersatzakku dabei.“
Das beruhigt vor allem Bruni Quernheim, die beim Start (eine Rikscha kann auch rückwärts fahren!) etwas ängstlich guckt. „Brauchst keine Angst zu haben, ich sitze doch neben dir“, meint Mitbewohnerin Bärbel – und dann erinnern sich die beiden alten Damen, dass sie früher viel selbst geradelt sind. Sogar bis zur Gaststätte „Alte Tür“ hoch! Alles wurde mit dem Rad gemacht. Einkaufen, mit den Beuteln am Lenker, zur Arbeit nach Annen, die Kinder in den Kindergarten bringen – „wir hatten doch damals kein Auto“.
Zwei Anbieter befördern in Witten Senioren und Seniorinnen mit ihren Rikschas. Dabei geht es nicht bloß um eine Vergnügungsfahrt ins Grüne, sondern um mehr: Dass die alten Leute rauskommen, an die frische Luft, hin zu altbekannten Orten, um in Erinnerungen zu schwelgen – eben etwas Besonderes erleben.
Die meisten Senioren-Rikschas, die durch Deutschland fahren, wurden mithilfe das Dachverbands „Radeln ohne Alter“ (Roa) finanziert. In Witten zählt dazu die Rikscha „Rikki“ der Freien Evangelischen Gemeinde Bommern. Ein Mitglied hatte von der Idee gehört und Sponsorengelder gesammelt. Seitdem gibt es mehrere Ehrenamtliche, die in die Pedale treten. Seit 2022 werden meist Senioren aus dem Rigeikenhof oder dem Lutherhaus Bommern befördert. Aus versicherungstechnischen Gründen arbeitet die FeG nur mit Kooperationspartnern zusammen, nicht jeder kann die Rikscha buchen.
Bärbel und Bruni begeistert die Fahrt vom ersten Pedaltritt an. Der Sommerwind weht durch Haar, Blümchenbluse und Sandalen. Die Sonne lacht und viele Passanten winken dem ungewöhnlichen Gefährt zu. Viel zu schnell endet die Fahrt. Pünktlich zum Kaffeetrinken setzt Anja Ströhmann die beiden Damen wieder zu Hause ab.